Kalif Storch – Kapitel 4

Kalif Storch - Kapitel 4
Kalif Storch – Kapitel 4

Die beiden Störche aus Bagdad treffen in einer Ruine die Prinzessin von Indien. Sie hat es noch ärger getroffen als den Kalif Storch und seinen Diener. Die Prinzessin wurde – vom selben Zauberer – in einen kleinen hässlichen Nachtkauz verwandelt.

Als der Kalif dem kleinen Tierchen seine Geschichte vorgetragen hatte, dankte das Käuzchen ihm und sagte: „Vernimm auch meine Geschichte und höre, wie ich nicht weniger unglücklich bin als du. Mein Vater ist der König von Indien. Ich, seine einzige, Tochter, heiße Lusa.
Jener Zauberer, der euch verzauberte, hat auch mich ins Unglück gestürzt.

Er kam eines Tags zu meinem Vater und begehrte mich zur Frau für seinen Sohn Mizra. Mein Vater aber, der ein hitziger Mann ist, ließ ihn die Treppe hinunterwerfen. Der Elende wusste sich unter einer andern Gestalt, wieder in meine Nähe zu schleichen. Er brachte mir, als Sklave verkleidet, einen Trank, der mich in diesen hässlichen Kauz verwandelte. So brachte er mich hier in diese Ruine. Mit schrecklicher Stimme schrie er mir in die Ohren:

„Hier sollst du bleiben, hässlich, selbst von den Tieren verachtet, bis an dein Ende, oder bis einer aus freiem Willen dich, selbst in dieser schrecklichen Gestalt, zur Gattin begehrt. So räche ich mich an dir und deinem stolzen Vater.“

Seitdem sind viele Monate verflossen. Einsam und traurig lebe ich in diesem
Gemäuer, verabscheut von der Welt. Selbst den Tieren bin ich ein Greuel. Die schöne Natur ist vor mir verschlossen, denn ich bin blind am Tage, und nur, wenn der Mond sein bleiches Licht über dies Gemäuer ausgießt, fällt der verhüllende Schleier von meinem Auge.“

Das Käuzchen hatte geendet, und wischte sich mit dem Flügel wieder die Augen aus, denn die Erzählung hatte ihr Tränen entlockt. Der Kalif war bei der Erzählung der
Prinzessin in tiefes Nachdenken versunken.

„Wenn mich nicht alles täuscht“, sprach er, „so findet zwischen unserem Unglück ein
geheimer Zusammenhang statt. Doch wo finde ich den Schlüssel zu diesem Rätsel?“
Die Prinzessin antwortete ihm: „O Herr! auch mir ahnet dies; denn es ist mir einst in meiner frühesten Jugend von einer weisen Frau prophezeit worden, dass ein Storch mir ein großes Glück bringen werde. Auch wüsste ich vielleicht, wie wir uns retten könnten.“

Der Kalif war sehr erstaunt und fragte, auf welchem Wege sie meine? „Der Zauberer, der uns beide unglücklich gemacht hat“, sagte sie, „kommt alle Monate einmal in diese Ruinen. Nicht weit von diesem Gemach ist ein Saal. Dort pflegt er dann mit vielen Genossen zu schmausen. Schon oft habe ich sie dort belauscht. Sie erzählen dann einander ihre schändlichen Werke, vielleicht, dass er das Zauberwort, das ihr vergessen habt, ausspricht.“

„Oh, teuerste Prinzessin“, rief der Kalif, „sag an, wann kommt er, und wo ist der Saal?“
Das Käuzchen schwieg einen Augenblick, und sprach dann: „Nehmet es nicht ungütig, aber nur unter einer Bedingung kann ich Euern Wunsch erfüllen.“

„Sprich aus! sprich aus!“ rief der Kalif, „befiehl, es ist mir jede recht!“

„Nämlich,“ sagte nun die Prinzessin,“ich möchte auch gerne zugleich frei sein. Dies kann aber nur geschehen, wenn einer von euch mir seine Hand reicht.“

Die beiden Störche schienen über den Antrag etwas betroffen zu sein. Der Kalif winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm hinauszugehen. „Großwesir“, sprach vor der Türe der Kalif, „das ist ein dummer Handel, aber Ihr könntet sie schon nehmen.“

„So?“ antwortete dieser, „dass mir meine Frau, wenn ich nach Haus komme, die Augen auskratzt. Auch bin ich ein alter Mann, und Ihr seid noch jung und unverheiratet, und könnet eher einer jungen schönen Prinzessin die Hand geben.“

„Das ist es eben“, seufzte der Kalif, indem er traurig die Flügel hängen ließ, „wer sagt dir denn, dass sie jung und schön ist? Das heißt eine Katze im Sack kaufen!“

Sie redeten einander noch lange zu. Endlich aber, als der Kalif sah, dass sein Vezier lieber Storch bleiben, als die Prinzessin heiraten wollte, entschloss er sich, die Bedingung selbst zu erfüllen.

Das Käuzchen war hoch erfreut. Es erzählte den beiden Störchen nun sogleich ihnen, dass sie zu keiner bessern Zeit hätten kommen können. Wahrscheinlich in dieser Nacht werden sich die Zauberer hier in der Nähe versammeln.

Sie verließ mit den Störchen das Gemach, um sie in jenen Saal zu führen. Sie gingen lange in einem finstern Gang hin. Endlich strahlte ihnen aus einer halbverfallenen Mauer ein heller Schein entgegen. Als sie dort angelangt waren, riet ihnen das Käuzchen, sich ganz ruhig zu verhalten. Sie konnten von der Lücke, an welcher sie standen, einen großen Saal übersehen.

Er war ringsum mit Säulen geschmückt und prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten das Licht des Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, mit ausgesuchten Speisen. Rings um den Tisch zog sich ein Sofa, auf
welchem acht Männer saßen. In einem dieser Männer erkannten die Störche den Krämer wieder, der ihnen das Zauberpulver verkauft hatte.

Sein Nachbar forderte ihn auf, ihnen seine neuesten Taten zu erzählen. Er erzählte unter andern auch die Geschichte des Kalifen und seinem Wesir. „Was für ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?“ fragte ihn ein anderer Zauberer. „Ein recht schweres lateinisches, es heißt Mutabor.“

Kalif Storch


Verlesene Gedichte-Empfehlungen für dich:


Reim, Vers & Gedicht > Ästhetik > Kalif Storch – Kapitel 4

Schreibe einen Kommentar

Die Angabe des Namens ist optional.
Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung, Verarbeitung und Veröffentlichung der angegebenen Daten durch diese Webseite einverstanden.
Weitere Informationen darüber, wie wir mit Ihren Daten umgehen, finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.